Das Gastspiel im Rahmen der Bensheimer Sommerbühne am Wambolter Hof wurde am Sonntagabend nach innen verlegt. Die Wetterlage war zu unsicher. Eine richtige Entscheidung, denn trotz der Regenpause um 19 Uhr hat es eine gute Stunde später wieder richtig geschüttet. Doch auch, wenn es auf der kleinen Kellerbühne für die acht Musiker ein bisschen eng wurde: Der typische Sound, die unbändige Spielfreude und die spontane Note der Band haben im Gewölbe keineswegs gelitten.
Schließlich gehört das PiPaPo-Theater zu den regelmäßig besuchten Locations der Gruppe, die am Sonntag in der aktuellen Standardbesetzung vertreten war, erweitert von Frank Ebert an Sousaphon und Posaune, den man auch als Kopf der Rüsselsheimer IKS Big Band kennt. Ebert hat sich nahtlos in den Sound der Blütenweg Jazzer eingefügt und die Stücke durch Gesang und instrumentale Klasse aufgewertet.
Bereits beim Einmarsch über die Kellertreppe Richtung Bühne, wie immer mit der Erkennungsmelodie „Bourbon Street Parade“, war das Publikum eigentlich schon erobert. Darunter viele treue Fans, die kaum einen Gig der Band verpassen. Gleich zum Entrée schlenzten sich die Musiker lässige Soli zu: Frank Ebert spiele am Bühnenrand, Bandleader Bruno Weis packte das Waschbrett aus (links roter, rechts schwarzer Handschuh) und Hans-Jürgen Götz hat sich seinen Platz in der Stammbesetzung längst erobert: sein filigranes, energetisches und immer präzises Schlagzeug gibt der Band den Takt vor und überzeugt durch Timing und Finesse auch bei stilistischen Ausflügen wie „Bei mir biste scheen“, das die Band im Kellertheater als Hommage an den Sinti-Stargeiger Schnuckenack Reinhardt inszeniert hat, mit dem die Jazzer vor 25 Jahren mehrere Auftritte gespielt und eine Studio-CD aufgenommen hatten.
Markus Jörg ließ die Klezmer-Klarinette seufzen, Multiinstrumentalist Hubert Ensinger (Trompete, Posaune) führte die Gesangsparts an, die – ein Merkmal der Band – oftmals mit neuen Texten ausgestattet werden, die sprachmelodisch an das Original angelehnt sind. So wird aus dem „Basin Street Blues“ ein Besen-Song über die gewissenhafte Art der Leutchen, ordnungsgemäß die Straße zu kehren. Ein musikalisches Fege-Feuer nicht nur für Reinlichkeitsfanatiker.
Dieter Kordes ist nach längerer Pause zurück auf der Bühne
Mit großer Freude begrüßte Bruno Weis (Gitarrenbanjo und Moderation) den Pianisten Dieter Kordes, der nach gesundheitlichen Problemen und längerer Rehapause wieder auf die Bühne zurückgekehrt ist und gewohnt souverän in die Tasten griff. Sein Akkordeon bei der Schnuckenack-Reminiszenz hätte wahrlich gefehlt. Die weitere Besetzung des Abends bestand aus dem rhythmischen Stamm-Block Rainer Dorstewitz (Tenorbanjo) und Günter Flassak am Bass, die sich nur rein physisch im Hintergrund bewegten. Sie gehören neben den Gründungsmitgliedern Bruno Weis und Markus Jörg zu den altgedienten Musikern der Original Blütenweg Jazzer, die im Theaterkeller sehr cool und gelassen wirkten.
Die Gefahr, in musikalischer und dramaturgischer Routine abzudriften, wird von regelmäßigen Erfrischungen der Songs (rund 400 im Repertoire) und Besetzungswechseln präventiv wirksam bekämpft. Hinzu kommt eine freche Spontaneität und kollektive Improvisationslust, die den Konzerten eine gewisse Unkalkulierbarkeit schenkt: Stücke werden rausgeschmissen, andere kommen neu hinzu.
Und manchmal sind es auch die kleinen Details, die dem Publikum ein Lächeln ins Gesicht zaubern: „Hello Central give me Doctor Jazz“, heißt ein fast hundert Jahre alter Jazz-Klassiker von King Oliver, der von vielen großen Dixieland Formationen und New-Orleans-Jazzbands wie der Dutch Swing College Band oder von Chris Barber gespielt wurden. Im PiPaPo griff Hubert Ensinger auf tierische Unterstützung zurück, indem er ein Beagle-Handpüppchen (Snoopy?) mitspielen ließ.
Apropos Chris Barber: Der hatte mit einer Adaption von Sidney Bechets „Petite Fleur“ sogar einen Top-20-Hit in Großbritannien. Aber auch Markus Jörgs smoothe und vibratoreiche Klarinette haben diesem Standard durchaus geschmeichelt. Dass Bechet in New Orleans aufgewachsen ist, bildete die nächste Brücke zu den Ehrenbürgern der Stadt am Mississippi, nach denen der 22. Oktober als „The Original Blutenweg Jazz Band Day“ benannt wurde. Doch mit allzu vielen historischen Fußnoten und persönlichen Anekdoten wollte sich Bruno Weis nicht aufhalten.
Flott und vital ging es durch das erste Set mit Songs wie dem „Tin Roof Blues“ oder dem treibenden Cajun-Song „Eh las ba“, bevor mit „Johnny B. Goode“ ein Rock‘n‘Roll-Monument mit Markus Jörg am Saxofon aufpoliert wurde. Und auch dieser lyrische Bauernbub stammt - wenn man die ersten Zeilen verfolgt – aus dem schönen Louisiana. Irgendwie ist bei den Blütenweg Jazzern alles New Orleans. Das Drumsolo von Hans-Jürgen Götz war eine feine stilistische Klammer zwischen Dixieland und Chuck Berry.
Mit Ausnahmen: „Skokiaan“ ist ein Stück aus Zimbabwe, das nach einem illegalen selbstgebrannten Alkohol benannt ist. Das Publikum erlebte hier maximale Brass-Power, vitale Spielfreude und instrumentale Interaktion, die einfach nur Spaß gemacht hat. Mit „Ich wär gern wie du“ servierten die Musiker nach der Pause einen buchstäblich affenartigen Titel aus dem Dschungelbuch-Soundtrack.
Poetisch und nostalgisch wurde es „In the Shade of the Old Apple Tree“, wo ein Mann seine Liebste wieder zu treffen hofft. „Avalon“ stammt von AL Jolson aus dem Jahr 1921 und war der älteste Standard des Abends. Mit Sicherheit aber der Titel, bei dem die Band am besten ihre Live-Qualitäten bewiesen konnte. Und es verwunderte nicht, dass aus „Avalon“ ein „Pappkarton“ wurde. Mit „Bill Bailey“ und „On The Sunny Side Of The Street“ ging es dann langsam Richtung Finale. Plus Zugabenteil.
Das Publikum erlebte die Original Blütenweg Jazzer in Bestform – 45 Jahre nach ihrer Gründung präsentiert sich die Formation frisch, agil und tiefenentspannt. Geprobt wird noch immer nicht. Die Bühne ist der Resonanzraum für die spontanen Launen des Jazz. Langer Applaus im Kellertheater.